Bagger Ciao! – ein Ende-Gelände-Erfahrungsbericht

Kein Betriebsausflug der Spurensicherung, sondern eine Aktion für den Kohleausstieg: ein Artikel über singende Menschen in weißen Anzügen.

Normalerweise steige ich nie ohne Fahrkarte in die U-Bahn. Ich lade auch nicht einfach Filme aus dem Internet herunter. Und wenn ich bei Rot über die Ampel gehe, dann mit schlechtem Gewissen. Aber der Klimawandel ist für mich so bedrohlich, dass man ihn nicht auf die nächste Legislaturperiode verschieben kann. Der nicht wartet, bis der Bachelor fertig ist. Oder der Master. Der mit jedem Tag, an dem wir weiter Kohle aus der Erde buddeln, unvorhersehbarer und gefährlicher wird. Und der für mich deshalb und in Anbetracht der aktuellen Vorkommnisse im Hambacher Forst auch Aktionen wie Ende Gelände legitimiert.

Ende Gelände?

Das ist ein Bündnis, das den sofortigen Kohleausstieg fordert und diese Forderung in Form von Massenaktionen umsetzen möchte.

Die Methodik: Blockade von Tagebau und Zufahrtswegen. Ziviler Ungehorsam, sozusagen.

Die Strategie: Aufteilung in fünf Gruppen, sogenannte Finger, die sich dem Tagebau auf verschiedenen Wegen nähern und somit ein Aufhalten durch die Polizei erschweren. Zu Wiedererkennungszwecken und weil Kohle nun mal schmutzig ist, tragen alle weiße Staubschutzanzüge.

In den letzten Jahren fand die Aktion schon in verschiedenen Tagebauregionen Deutschlands statt, vor allem in der Lausitz und im Rheinland. Aufgrund aktueller Geschehnisse dieses Mal beim Hambacher Forst. Der Hambacher Forst? Wurde nicht gerade erst ein Rodungsstopp für die nächsten zwei Jahre ausgehängt? An sich schon und das ist auch super. Aber dieser Rodungsstopp ist mit dem Schutz von Fledermäusen begründet und basiert nicht auf einem grundlegenden, gesamtgesellschaftlichen und -politischen Verständnis davon, dass der Kohleausstieg nicht hinausgezögert werden darf, bis die Kohle sowieso aufgebraucht ist. Und darum geht’s doch eigentlich.

Foto: Michael Goergen

The Action

Natürlich wird eine Aktion, die zivilen Ungehorsam ankündigt, von der Polizei nicht zwangsläufig mit Freudenrufen begrüßt. Kurz vor Anreise der Teilnehmenden wird das ursprüngliche Camp geräumt und die Veranstalter müssen einen neuen Platz für 4000 Leute finden. Glücklicherweise stellt ein Landwirt aus der Umgebung seine Felder zur Verfügung. Auch die Aktivist*innen, die mit dem Sonderzug von Prag über Dresden und Berlin anreisen, werden bei Ankunft stundenlang am Bahnhof festgehalten und einzeln durchsucht.

Als wir am Freitagnachmittag auf dem Camp ankommen, ist von den vorausgegangenen Querelen allerdings nichts zu merken und die Atmosphäre ist sehr angenehm. Es stehen Zirkuszelte herum und die weißen Anzüge, frisch bedruckt, flattern zum Trocknen im Wind. Es gibt Action Trainings, bei denen man lernt, in einer großen Gruppe über ein Feld zu laufen. Das Legal Team klärt darüber auf, was in Deutschland erlaubt ist und was passiert, wenn man sich nicht daran hält. Zwei Kollektive vollbringen das Unmögliche und kochen für wirklich alle.

Am nächsten Morgen: Während der pinke und der orange Finger schon vor dem Aufstehen losgezogen sind, versammeln sich Gold, Rot und Silber gegen acht Uhr vor den Zelten. Es ist ein wahnsinnig langer Zug, der sich vom Camp in Richtung Tagebau in Bewegung setzt. Die Stimmung ist gut, eine Mischung aus Wandertag und Demo. Die weißen Anzüge verleihen der Veranstaltung ein ungleich freundlicheres Bild als beispielsweise ein schwarzer Block. Es wird gesungen und bei der Durchquerung zweier Dörfer strecken Omis den Daumen hoch und Kinder winken aus den Fenstern. Nur ein Mann meint, sich bedrohlich vor seinem Haus mit einem Stock aufstellen zu müssen.

Plötzlich kommt der Zug zum Stehen – strategisch clever zwischen zwei großen Heckenreihen. Grundsätzlich ist das erst einmal kein Problem, alle packen ihre Brotbüchsen aus und brunchen. Hungrig sind wir eh, das Päuschen können wir gut gebrauchen. Aber dann heißt es, dass die Polizei uns nicht geradeaus über die Autobahnbrücke Richtung Tagebau lassen möchte. Wir hätten aber die Möglichkeit, rechts abzubiegen und uns der angemeldeten Demo im Nachbarort anzuschließen.

Foto: Christian Willner



Die Begeisterung darüber hält sich in Grenzen, aber wir gehen trotzdem erstmal weiter. Der Zug biegt wie besprochen ab, aber plötzlich setzt sich die Zugspitze in Bewegung und rennt auf die Autobahnböschung los. Aus Gründen des Zusammenhalts rennen alle anderen mit. Zahlenmäßig überlegen schafft es ein Großteil über die Böschung, lässt sich von Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern auf der abgesperrten Autobahn nicht abhalten – und kommt letztendlich bis zu den Gleisen der Hambach-Bahn. Diese transportiert für gewöhnlich Braunkohle aus dem Tagebau direkt in die umliegenden Kraftwerke und ist somit als Blockadeziel hervorragend geeignet.

Die Autorin dieses Artikels hat es nicht über die Böschung geschafft. Vielleicht weil sie sehr weit hinten war, als alle losliefen. Oder weil gerade bei ihr so viel Polizei war. Vielleicht aber auch, weil sie zu langsam war. Zu viele Kekse im Rucksack oder einfach zu unsportlich. Aber für Impressionen von den Gleisen empfehlen sich zwei Videos.

Ende-Gelände-Team:



Graswurzel.TV:


Wie erging es den Zurückgebliebenen auf der anderen Seite der Autobahn?

Von der Polizei zurück auf den Weg getrieben, erholen sich erstmal alle. Ob das jetzt eine Sitzblockade oder ein Kessel ist, lässt sich schwer sagen. Ich jedenfalls nehme mir vor, mich auf die nächste Aktion fitnessmäßig besser vorzubereiten. Wir essen Kekse und sind unentschlossen, wie es weitergehen soll. Im Verlauf des Nachmittags gibt es Plenen, die über das weitere Vorgehen beraten. Irgendwie haben schon noch alle Bock auf die Schiene. Bevor es jedoch zu einer Entscheidung kommt, beschließt die Polizei, die Versammlung aufzulösen. Aber auch nicht so richtig aufzulösen, weil wir alle zusammen und von der Polizei eskortiert zurück laufen sollen. Das lassen wir uns natürlich erst drei Mal sagen, bevor wir zurücklaufen, langsam und mit sehnsüchtigen Blicken Richtung Schiene. Mitten auf einer Straßenkreuzung gibt es dann noch einen Gruß aus der Camp-Küche. Von dort machen wir uns auf den Rückweg, einige mit dem Plan, abends doch nochmal einen zweiten Versuch zu starten. Die Leute auf den Gleisen bleiben noch die ganze Nacht und schaffen es, die Blockade für 24 Stunden aufrecht zu erhalten. Chapeau!

Und jetzt – was bleibt?

Natürlich haben wir mit dieser Aktion den Klimawandel nicht gestoppt. Und auch einige Kontroversen hervorgerufen. Denken Sie mal bitte an die RWE-Mitarbeiter*innen. Und an die Bauern und Bäuerinnen, über deren Felder Sie gerannt sind. Und die gesperrte Autobahn. Und die Kosten für die Polizei. Außerdem kümmert sich die Kohlekommission doch eh schon.

Naja.

Ich habe an Ende Gelände teilgenommen, weil ich nicht verstehen kann, wie unendlich lange alles dauert. Der ‚Limits to Growth‘-Bericht ist 46 Jahre alt, der Gipfel in Rio war vor 26 Jahren und trotzdem war dieser Sommer wohl noch nicht trocken genug, um die Absurdität, Bäume für Kohle zu fällen, deutlich zu machen.

Die Landwirte werden von Ende Gelände Entschädigungszahlungen bekommen. Die Autobahn war schon gesperrt, bevor wir dort angekommen sind. Und die RWE-Mitarbeiter*innen sollten ihren Protest vielleicht gegen diejenigen richten, die sich schon seit Jahren um neue Jobs hätten kümmern sollen.

Ich glaube nicht daran, dass eine Masse nur um der Masse willen Recht hat. Aber wenn 6000 Menschen teilweise durch halb Europa fahren, ihre Wochenenden und freien Tage opfern, sich in Zelten herbstlichen Temperaturen aussetzen, stundenlang durch die Gegend laufen, auf Bahnschienen übernachten und bereit sind, juristische Konsequenzen zu ertragen, dann sollten die Sorgen dieser 6000 Menschen von der Politik doch mindestens so ernst genommen werden wie die Sorgen potentieller AfD-Wähler*innen. Wenn nicht sogar noch etwas ernster.

Was ich bei Ende Gelände vorgefunden habe, ist mehr als bloßer Aktionismus. Es ist nicht nur die gemeinsame Absicht eines sofortigen Kohleausstiegs, die verbindet, sondern auch ein sehr solidarisches Zusammensein, das zeigt, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, in der Hilfsbereitschaft und Gemeinschaft mehr zählen als Besitz und Konsum. Und dass das eigentlich ganz schön sein kann.


Beitragsbild: Kristoffer Schwetje

Fotos von https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/sets/72157701331552371

Michael Goergens https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/31705916958/in/album-72157701331552371/

Ende Gelände https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/44664031065/in/album-72157701331552371/

Kristoffer Schwetje Photography https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/45527856732/in/album-72157701331552371/

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